Warum der Name dieser Rubrik? Ich oute mich hier mal als 50+ - und ich fühle mich wohl damit. Als Unternehmerin im Medienbereich ist dieses Alter jedoch inzwischen eine echte Herausforderung. Die sog. „digitale Evolution“ hat längst nicht alle mitgenommen und so mancher Beruf in der Werbung ist sogar auf der Strecke geblieben. Hier ein kleiner Überblick.
Werbung vor dem Internet „Wir“ haben Ende der 90-er noch klassische Printmedien konzipiert, massenweise Plakatwände tapeziert und wurden technisch mit Citylights herausgefordert. Ich habe damals als Juniortexterin noch „Füller“ für den Kölner Express getextet. Diese wurden eingesetzt, wenn irgendwie noch Platz auf einer Seite war und der Express für sich selbst geworben hat: „Ihr Toaster empfängt UKW?- Ratgeber Technik jeden Donnerstag im Express!“ Und irgendwann kam dann der erste Kunde mit einem „Internetbanner“ um die Ecke. - Was waren wir stolz, als das Ding zischen zwei Ansichten hin und her blinkte! Ein markiger Spruch oder ein Frage- und Antwort-Spiel, das sich im Sekundentakt endlos wiederholte - das waren die ersten Banner! Die Auflösung erinnerte an einen 24-Nadel-Drucker, aber das war egal, wir waren jetzt digital!
Die Digitale Evolution Neben Bannern wurden jetzt immer mehr Internet-Präsenzen angefragt. Auf diesen konnte man sich tot klicken, am Ende gefühlt 27 Unterseiten, keinerlei Nutzerführung und das Wichtigste war die Kontaktseite. - Damit die Leute auch wirklich vorbei kamen, obwohl man „nur“ im Web stand... Bis dann irgendwer merkte, dass das so nicht funktioniert. Das Internet war kein digitales Branchenbuch, es war etwas Größeres. Die Möglichkeiten in diesem Bereich entwickelten sich immer schneller und die Branche musste damit Schritt halten. Deshalb schrieben sich immer mehr Werbeagenturen ganz schnell „digital“ auf ihr Leistungsspektrum. - In der Hoffnung, dass, wenn eine Anfrage zu diesem Thema kam, man schnell noch jemanden finden würde, der das dann auch realisieren konnte. Berufe wie Web-Designer oder Social Media-Manager gab es damals noch gar nicht. Influencer auch nicht, denn Social Media-Kanäle waren noch nicht erfunden. Das ging natürlich nicht für jede Agentur auf und wer sich nicht zu diesem Zeitpunkt bereits Leute gesichert hatte, musste meist so lange auf die Umsetzung von Websites warten, bis der Kunde oftmals sogar absprang. Das ist teilweise sogar bis heute so, oftmals fehlen Programmierer, die Wünsche zeitnah umsetzen. Wer also Talent dafür hat: Arbeit ist genug da. Parallel starben althergebrachte Berufe wie der Producer neben so mancher inhabergeführten kleineren Werbeagentur langsam aus. Ich habe noch Menschen kennengelernt, die für Papier gelebt haben! Producer, die sinnlich über Papierbögen gestrichen haben, liebevoll nach kleinen Unebenheiten getastet und selig „Chamois...“ geflüstert haben.
Die Eier legende Wollmilchsau als Stellenbeschreibung Was heute die Druckerei erledigt, war damals teilweise noch Job der Werbeagentur. Und dafür gab es ausgebildete Fachkräfte mit Berufen, die seitdem einen erheblichen Wandel erfahren haben. Egal, ob Texter oder Designer, jeder muss heute sowohl Print als auch Web abdecken, sein Projektmanagement im Blick haben und besonders darauf achten, dass auch das Budget kalkuliert und eingehalten wird. Ach ja, kreativ sollte man auf jeden Fall außerdem sein. Kein Wunder, dass viele klassische Werber aus meiner Generation heute etwas ganz anderes machen. Entweder haben sie sich einen Teilbereich aus ihrem Portfolio herausgegriffen und daraus einen Job gemacht, z.B. Fotografie oder Kalenderdesign - oder sie haben etwas völlig Neues angefangen. Denn das, was sie einmal gelernt haben, ist heute nur noch Teilbereich des ganzen Jobs. Und bei allem Willen zur Weiterbildung, das hat auch seine Grenzen.
Eine neue Generation Nämlich dann, wenn jemand kommt, der mit den digitalen Medien aufgewachsen ist und diese fast intuitiv bedient. Das passiert heute fast überall, die digitale Entwicklung ist mittlerweile gefühlt schneller als die Menschen, die damit umgehen sollen. Nicht umsonst gibt es Begriffe wie „Digital Native“. In dieser Generation telefoniert man nicht, man nutzt Sprachmemos, die man sich per WhatsApp schickt. Dass die Übermittlung von Sprache auch in Originalzeit funktioniert, muss man Azubis heutzutage extra beibringen. Mal abgesehen davon, wie man sich in einem Unternehmen am Telefon meldet (nein, nicht mit „Hi, hier ist...“). Und wer von euch hat zuletzt einen Millennial gebeten, einen Brief zu adressieren und zu frankieren? Das muss man ihnen heute extra beibringen. Ich empfehle hier das Tutorial von Lehrerschmidt auf youtube. Dafür haben junge Erwachsene allerdings heute Skills, die von uns eine anatomische Anpassung erfordern würden – zumindest, wenn man nicht in „Zwei-Finger-Adler-Suchtechnik“ auf dem Handy tippen will.
Großartige Möglichkeiten und neue Herausforderungen Die technischen Möglichkeiten sind heute exorbitant und bieten phänomenale Möglichkeiten. Neue Berufe wie Webdesigner, Social Media-Manager, SEO-Experten oder Influencer tauchten auf. Werbung ist heute weiterhin ein wichtiger Teil des Marketing-Mixes. Nur eben anders. Häufig handelt es sich heute um Spartenkommunikation, abgestimmt auf akribisch ermittelte Zielgruppen und über mehrere Kanäle gespielt. Meine Generation musste sich in den letzten 10 Jahren fragen: „Was wollen wir überhaupt noch hier?“ und: „Wenn ich die Entwicklung begleiten möchte, wie weit kann ich gehen, bis ich einfach nicht mehr mitkomme?“ Es ist eine Wanderung auf einem verdammt schmalen Grat. Ich bilde mich zum Beispiel stetig weiter, weiß aber auch, dass ich vom technischen Verständnis her irgendwann an meine Grenzen stoßen werde. 2016 habe ich ein Fernstudium als Online Marketing Managerin nachgeschoben, das hat mir viel gebracht. Ich kenne alle Social Media-Kanäle und baue sie erfolgreich in den Marketing-Mix meiner Kunden ein. Aber:
Muss man jetzt Allrounder werden? Muss ich jetzt alle Social Media-Kanäle bedienen können? - Ich habe mich dazu entschieden, dies nicht zu tun, sondern das denjenigen zu überlassen, die dort bereits Zuhause sind. So kombiniere ich mein gewachsenes Wissen in Marketing und Werbung mit den Skills der Jüngeren – und es funktioniert wirklich gut. Ich empfinde es als Bereicherung, mir zeigen zu lassen, wie Jüngere mit Content umgehen und hake dort ein, wo ich meine, dass etwas anderes sinnvoll sein könnte.
Damit beide voneinander lernen können, ist Toleranz wichtig, der Wille, den anderen am jeweiligen Wissensstand abzuholen und auf die „Reise“ mitzunehmen. Ich nenne das Gleitsicht-Marketing: Von allem etwas, aber da, wo Schärfe gefordert ist, übernimmt derjenige mit der besseren Sicht auf die Dinge und den wichtigen Skills – damit wir alle auch in Zukunft unseren Kunden immer die beste Lösung anbieten können.