Immer mehr gut ausgebildete Kollegen melden sich gerade krank. Diagnose: Burn-out.
Sie können einfach nicht mehr, suchen sich oftmals psychologische Hilfe und fallen für ihre Arbeitgeber für viele Wochen aus.
Wenn ich frage, warum sie so fertig sind, können sie sich das oftmals nicht einmal erklären. Klar, Überstunden sind nach Personalabbau immer ein Thema, mehr Arbeit für das gleiche Geld, mangelnde Wertschätzung und zu wenig Ausgleich, das klingt so logisch. Doch andere sagen, sie kämen hervorragend mit ihrer Arbeit klar, die Kollegen seien nett, der Chef sei menschlich und verständnisvoll – und trotzdem sind sie einfach fertig. Im Freundeskreis haben wir lange gerätselt, warum das so ist, denn eigentlich geht es uns allen doch prima…
Wir sind alle so um die 50 Jahre alt, gut ausgebildet, im Job größtenteils zufrieden – und doch werden immer mehr von unseren Kollegen und Freunden krank. Mit unserem Alter sind wir Teil einer „Gap-Generation“, die noch weiß, wie alles ohne Internet und Computer funktioniert, sich im Arbeitsalltag aber längst in die digitalen Kreisläufe eingegliedert hat und gerne von den technischen Errungenschaften profitiert. Keine digitalen Dinosaurier, die sich der Technik verweigern und deshalb untergehen – doch in ständiger Gefahr, von ihr überholt zu werden. Kann dies vielleicht das Problem sein?
In intensiven Gesprächen konnten wir mit dieser Selbstreflektion tatsächlich eine wesentliche Ursache ausmachen, die eine gewisse Grundmüdigkeit erzeugt, unter der, wenn wir ehrlich sind, fast alle in dieser Generation leiden. Und diese Ursache liegt – wie könnte es auch anders sein, in unserer Kindheit. – Und unsere Eltern sind ausnahmsweise mal nicht daran schuld. Fakt ist:
Wir sind in den 70-er und 80-er Jahren mit drei Fernsehprogrammen aufgewachsen. Kinderfilme gab es im Kino oder zu Weihnachten. Unsere Kindheit, das waren die Freunde, mit denen man auf der Straße oder auf dem Spiel- oder Bolzplatz spielte. Fernsehen gab es Samstagabend mit den Eltern, „Wetten, dass…“. Bücher gab es in der Leihbücherei und meine ersten Artikel habe ich auf einer Reiseschreibmaschine geschrieben und auf einer Matritze eingereicht.
In Schule und Studium oder Ausbildung waren Overhead-Projektoren und Videokassetten das Nonplusultra medialer Begleitung. Im Computerkurs der Schule war ich drei Jahre lang das einzige Mädel, da der Rest meinte, dass sie nie im Leben mit Computern zu tun haben würden. Anders unsere Nerd-Jungs – die Typen, die aus einem kaputten Toaster und etwas Lego ein Radio bauen konnten: Sie zeigten mir, wie man die Alarmsirene der Schule für die nächste Brandübung per Computer imitiert, um den ganzen Schultrakt einer außerplanmäßigen Brandübung zu unterziehen – klappte prima. Heute käme ich dafür vermutlich in den Jugendknast, damals gab es einen Tadel. Der Lehrer holte sich meistens Kaffee und las in einem Buch. Wir hingegen waren frei, unsere Teenager-Instinkte in digitale Bahnen zu lenken, die heute wahrscheinlich als kriminell gelten würden…
Wir haben die ersten PCs erlebt (Hand hoch, wer auch noch DOS geladen hat!) und in manchen Eltern-Haushalten sind diese niemals eingezogen. Als Ende der 90-er Jahre die ersten Handys im Freundeskreis auftauchten, machten wir uns noch darüber lustig, dass wir ja wohl keine Manager wären, die das bräuchten. Und heute? – Laufen wir alle mit Mini-Computern in der Hosentasche herum…
Und dann kam das Internet – ungeahnte Möglichkeiten der Recherche, Chatten mit Freunden in Übersee und kein wochenlanges Warten mehr auf einen Brief .– Telefonieren wurde in unserer Kindheit übrigens noch nach Minuten abgerechnet und galt bis Ender der 80-er Jahre als fast unerschwinglich. Telefonat mit meiner Großmutter damals: „Kind, wir reden schon 17 Minuten, das wird doch zu teuer für dich!“
Das Internet beschleunigte die digitale Entwicklung ungemein. Schnell wurden Computer in der Medienbranche zum Alltag und die digitalen Möglichkeiten entwickelten sich dank moderner Programme ebenso rasant. Blinkende Banner, die zwischen zwei Ansichten wechselten, machten uns Anfang der 2000-er stolz. Heute werden sie von jeder Cookie-Abfrage im Design weit übertroffen.
In den letzten Jahren kam der lawinenartige Aufstieg von Social Media dazu. Nicht einer, nein, viele Kanäle mit immer neuen und schnelleren Entwicklungen. – Gut, für mich ist das der Job und tägliche Arbeit, aber viele Freund*Innen haben Profile auf allen Kanälen und pflegen diese – täglich!
Als Werbetexterin habe ich die Entwicklung von reinen Print- bis zu Multichannel-Konzepten innerhalb der letzten 20 Jahre nicht nur begleitet, sondern auf allen Kanälen stets voll bedient. Das hieß: stetiges Lernen und dazu eine zusätzliche Ausbildung zur Online Marketing Managerin. Ansonsten wäre ich längst weg von Fenster und würde vermutlich in einer kleinen Kemenate Lebensratgeber schreiben...
Hand auf´s Herz, wer guckt heute noch Fernsehen? – Nee, wir streamen, denn wir lassen uns doch nicht vom Fernsehprogramm diktieren, wann wir etwas gucken sollen. Und wenn wir etwas verpassen, gibt es für jeden Sender eine Online-Mediathek, in der die Suche nach einem guten Film fast genauso lange dauert, wie der Film selbst. Kein Wunder, dass sich Menschen heute oftmals nach Orientierung sehnen und Firmen, die das erkannt haben, heute beste Umsätze machen.
Dies ist keineswegs eine Brandrede gegen die „böse“ digitale Welt, die uns allen das Leben versaut, nein, es soll nur noch einmal aufzeigen, wie sehr sich gerade die Realität unserer Generation verändert hat: Von der unmittelbar erlebbaren Kinderwelt in digitale Meetings mit Menschen, die rund um den Globus arbeiten. Das ist toll, ABER: Hinter jeder einzelnen Anwendung steckt neues Lernen für unsere Generation, das ist auf Dauer anstrengend!
Jedes neue Programm ist eine Herausforderung für ein Gehirn, das zwar trainiert ist, aber erwiesenermaßen auch langsamer lernt. Wenn ein neuer Geschäftsführer jetzt „mal eben“ drei neue Programme mitbringt, ist das für Mitarbeiter, die neben dem Lernen auch noch das Tagesgeschäft erledigen müssen, fast schon eine Katastrophe.
Kein Wunder, dass diese fachlich hervorragenden Mitarbeiter mit jahrelanger Erfahrung dann irgendwann ausbrennen! Und das ist wohl die größte Diskrepanz zwischen unserer und der neuen Generation von Arbeitnehmern: Das Starren auf Bildschirme und immer wieder neue Lernen ist für viele Menschen die in diesem Jahrtausend geboren wurden, völlig normal, für unsere Generation ist und bleibt das weiterhin irgendwie „Fernsehen“.